qigong


Der Zweck heiligt die Mitte


Qigong mit chronisch psychisch beeinträchtigten Menschen


Abschlussarbeit der Kursusleiterausbildung der Deutschen Qigong-Gesellschaft 2003/2004 in Berlin


Dozenten:
Walter Gutheinz
Rainer Jakisch


Teilnehmer:
Bernhard Haas

Inhalt


Einleitung



Aspekte psychischer Erkrankungen


Formale Denkstörungen


Inhaltliche Denkstörungen: Halluzination und Paranoia


Depression


Manie


Sensorische Deprivation


Sensorische Integration


Förderung der Körpereigenwahrnehmung im Sinne der Sensorischen Integrationstherapie


Psychische Erkrankungen und ihre Symptome aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin


Die drei Schätze


Geist und Psyche: Shen, Hun, Po, Yi, Zhi


Die Emotionen und die Yin-Organe: Mögliche Pathologien


Diagnose und Therapie mentaler und emotionaler Störungen


Qi, Blut,Yin: Stagnation, Stase, Hitze , Schleim



Westliche Krankheitsbegriffe und chinesische Entsprechungen


Chinesische Krankheitsbegriffe und Therapieansätze


Die Praxis


Die Gruppe


Üungspraxis


Wirkungen



Resümée


Verzeichnis der verwendeten Literatur




Der Zweck heiligt die Mitte


Qigong mit chronisch psychisch beeinträchtigten Menschen


„Menschen, deren Geist in Verwirrung geraten ist, sollten im allgemeinen keine Qigong-Übungen ausführen. Dies gilt insbesondere für den Aspekt der Vorstellungsübungen und speziellen Atemtechniken. Wenn es der geistige Zustand erlaubt, können jedoch die harmonischen Körperbewegungen oder der feste Stand auf der Erde durch ihre regulierende Wirkung zu einer Verbesserung des geistigen Zustandes beitragen.“[1]


„Für Schwerstkranke und Patienten mit Geisteskrankheiten ist die Qigong-Therapie nicht geeignet. Übungen, bei denen das Bewahren und Lenken der Vorstellungskraft eine große Rolle spielt, eignen sich nicht für Menschen, deren Gemütslage nicht stabil ist, die stets eine skeptische Grundstimmung haben, denen es an Objektivität mangelt, die immer extreme und radikale Meinungen haben oder die sehr leicht erregbar sind. Diese Menschen sollten Übungsmethoden wählen, bei denen die körperliche Bewegung den Hauptaspekt bildet.“[2]


„Es wurde darüber berichtet, dass unter Qi-Gong-Übungen Psychosen in Erscheinung traten. Dabei handelte es sich weltweit um Einzelfälle. Ist eine Psychose bekannt, sollte man daran allerdings denken und lieber einmal zuviel den Arzt um Rat fragen.“[3]



Einleitung


Die folgenden Ausführungen sind der Niederschlag meiner Arbeit mit chronisch psychisch kranken Erwachsenen und meiner Lektüre zu diesem Thema. Aufgrund der zeitlichen (1 Jahr) und personellen (der Gruppe gehörten 4-5 Personen an) Beschränkung sind sie als persönliche Reflexion und Hypothesenbildung aufgrund meiner Erfahrungen zu verstehen. Sie erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Jedoch scheint mir eine Diskussion der erwähnten Aspekte und Fragen sinnvoll, zumal ganz unvermeidbar in unsere Arbeit mit Menschen unausgesprochene oder formulierte Überzeugungen, Annahmen und Ängste einfließen. Diese in mir selbst aufzusuchen und zu benennen war mir ein wichtiges Anliegen.


Ausgangspunkt meines Vorhabens, mit psychisch kranken Menschen Qigong zu üben, waren nicht die oben zitierten Ausführungen, sondern die Sensorische Integrationstherapie und -theorie nach Jean Ayres, die ich als Ergotherapeut kennengelernt habe und in meiner Arbeit mit Kindern praktiziere.

In den 90er Jahren begannen Ergotherapeuten des Kölner Alexianerkrankenhauses, Elemente der sensorischen Integrationstherapie (Erläuterung weiter unten) in der Behandlung akut schizophrener Patienten zu integrieren. Sie gingen dabei von der Überlegung aus, „dass von schizophrenen Störungen betroffene Patienten wahrscheinlich auch Störungen der sensorischen Integration als ein Vulnerabilitätsmerkmal[4] aufweisen werden“[5]. Man kann also vermuten, dass eine eingeschränkte Körperwahrnehmung ein bedeutsamer somatischer und physiologischer Aspekt jeder psychischen Erkrankung ist, vor allem solcher, die mit Halluzinationen verbunden sind.


Die Beschreibung psychiatrischer Krankheitsbilder beschränkt sich auf für die Qigong-Arbeit relevante Aspekte. Die Sichtweise der chinesischen Medizin wird nicht konkurrierend zu den Erkenntnissen der westlichen Medizin dargestellt.
Die psychiatrische Arbeit in Deutschland befindet sich seit einigen Jahrzehnten in einem ständigen Wandel, ausgehend von einer biologistischen Sicht, die die Behandlungsmöglichkeit der klassischen psychiatrischen Krankheitsbilder (Schizophrenie, endogene Depression, manisch-depressive Erkrankung) fast ausschließlich in der „Einstellung“ mit Psychopharmaka sah, hin zu einer Praxis, die psychosoziale, psycho-edukative, kreative und körperbezogene Ansätze zunehmend stärker berücksichtigt.


Die körperliche Destabilisierung, die mit allen psychischen Erkrankungen verbunden ist, kommt in der Bildhaftigkeit der Sprache zum Ausdruck:

·         „Am Boden sein“, wie es in der Depression der Fall ist.

·         „Den Boden unter den Füßen verlieren“ wie bei Schizophrenien und manischen Erkrankungen.


Sensorische Integrationstherapie und Qigong-Praxis geben, von unterschiedlichen Überlegungen und Erfahrungen ausgehend, der Wahrnehmung (Achtsamkeit) den Focus im Gegensatz zu einer mechanischen („gymnastischen“) Bewegungsübung. Handeln ist in dieser Sichtweise immer das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit und der Vermittlung von äußeren und inneren (körperbezogenen, psychischen) Ereignissen und Zuständen. 



Aspekte psychischer Erkrankungen


Formale Denkstörungen

Formale Denkstörungen beziehen sich nicht auf die Denkinhalte, sondern die Denkstrukturen und -prozesse. Schizophrene Denkstörungen sind gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, sich auf die relevanten Aspekte einer Aufgabe zu konzentrieren oder diese Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Das Denken ist gekennzeichnet durch Sprunghaftigkeit und Uferlosigkeit.

„Tausend Gedanken durch einen (den wesentlichen) ersetzen“ ist ein wichtiges Ziel der Qigong-Übung - nicht nur für psychisch Erkrankte.


Inhaltliche Denkstörungen: Halluzination und Paranoia

Halluzinationen treten ebenso wie Wahnvorstellungen (Paranoia) häufig im Verlauf von schizophrenen Erkrankungen auf (paranoid-halluzinatorische Schizophrenie).

Eine Halluzination ist eine Wahrnehmung idiosynkratischer Natur, d.h. es gibt keinen äußeren oder inneren (aus dem eigenen Körper kommenden) Reiz, der das Erleben begründen könnte.

Die häufigste Halluzinationen sind akustischer und visueller Natur. Oft sind es kommentierende und befehlende Stimmen, die den Betroffenen entwerten, beschimpfen  oder ihn zu aggressiven Handlungen gegen andere oder sich selbst - bis zum Suizid -auffordern.
Wahnvorstellungen sind extreme und meist bedrohliche Fehlinterpretationen der Wirklichkeit. Die Betroffenen fühlen sich verfolgt (z.B., wenn sie jemand anschaut), beziehen viele Handlungen und Ereignisse auf sich, halten sich selbst für andere Personen u.a.


Depression

Die Depression, auch „Gefühl der Gefühllosigkeit“ genannt, ist u.a. gekennzeichnet durch Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Gefühle der Aussichtslosigkeit bis hin zur Suizidalität, Wertlosigkeit und Antriebsschwäche.

Neben der psychischen Funktion müssen wir Antrieb auch als physiologisch-neurologisches Phänomen betrachten. Fehlender oder eingeschränkter körperlicher Antrieb ist meist mit einem niedrigen Muskeltonus und einem sensorischen Mangel verbunden. Körperliche Aktivität ist ein oft erfolgreiches Mittel, die depressive Antriebslosigkeit zumindest vorübergehend aufzuhellen und die Einseitigkeit und Selbstdestruktivität des Denkens zu durchbrechen – einfach dadurch, dass selbsttätig eine andere starke Realität geschaffen wird.


Manie

Im Gegensatz zur Depression, die sehr dauerhaft sein kann, tritt die Manie meist als manische Episode auf. Die betroffenen Menschen sind in euphorischer, reizbarer Stimmung, von rastloser Aktivität, gehen unnötige Risiken ein, schlafen wenig, haben meist einen starken Rededrang und ein übersteigertes, grandioses Selbstwertgefühl, wodurch sie auch andere Menschen beeinflussen können (Nicht selten wurden manisch Erkrankten aufgrund ihres selbstsicheren Auftretens große Kredite gewährt.). Manische Episoden sind häufig mit einer in Quantität und Qualität beeindruckenden (kreativen) Produktivität verbunden. Eine manische Episode endet fast immer mit einem Absturz in tiefe Depression.


Sensorische Deprivation

Sensorische Deprivation (Entzug aller akustischen, visuellen und der meisten Körperreize) wird experimentell zur Klärung wichtiger psychologischer Fragestellungen in schalltoten und lichtlosen Räumen hergestellt und kann zu intellektueller Verwirrtheit, Angstzuständen, Ruhelosigkeit, Orientierungsverlust, Wahrnehmungstäuschungen (Verkennungen, Zoenästhesien[6], Halluzinationen) führen.[7]


Eine der schlimmsten Foltermethoden ist die Isolationsfolter in einem fensterlosen, schalltoten Raum (sensorische Deprivation als „Weiße Folter“). Schon nach wenigen Stunden beginnen die einzeln Eingeschlossenen zu halluzinieren, schaffen die ihnen vorenthaltene Wirklichkeit aus dem visuellen, auditiven Material ihrer unermeßlichen Erinnerungen.[8] Wer jemals in einem solchen Raum war (einen solchen gibt es z.B. in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt PTB in Braunschweig), kennt das Gefühl der Unruhe und Verunsicherung.


Sensorische Integration

Unter sensorischer Integration versteht man die geordnete Verarbeitung von äußeren und inneren Sinneseindrücken, die es ermöglicht, auf den Input bzw. Intake[9] angemessen zu reagieren, mithin sinnvoll mit der Umwelt zu interagieren und dazu den eigenen Körper zielgerichtet einzusetzen. Ein wichtiger Bestandteil der sensorischen Integrationsfähigkeit sind auch Haltungs- und Bewegungsprogramme.

Beispiele:

·         Die Schwerkraftempfindung führt zu einer automatischen Muskelbereitstellung, die uns die Aufrechterhaltung unserer Körperhaltung ermöglicht. Sobald dieses Haltungsprogramm zuverlässig arbeitet, sind wir in der Lage, unsere Aufmerksamkeit Anderem zuzuwenden, z.B. einem Ball, der auf uns zufliegt. Der visuelle Reiz provoziert eine Bewegung der Hand in die projizierte Flugbahn des Balles. Diese Hinbewegung zum Ball ist z.T. visuell gesteuert, erfordert aber auch in jedem Abschnitt Haltungsanpassungen.

·         Das Drehen des Kopfes zu einer akustischen Reizquelle (jemand ruft meinen Namen, ich drehe mich um), Hand-Auge-Koordination beim Malen und Schreiben sind weitere Situationen, in denen sensorische Integration gefordert ist.

·         Ein wichtiger Bestandteil einer gelungenen sensorischen Integration ist auch die Hemmung irrelevanter Reize (z.B. das weitgehende Ausblenden der Stimmen in einem Café, während wir uns unterhalten oder ein Buch lesen).


Störungen der sensorischen Integration können verschiedene Ursachen haben:

·         eine mangelnde Reizaufnahme (sensorische Rezeption gestört): Hierbei sind die Sinneswerkzeuge bzw. die Weiterleitungswege zu zentraleren neuronalen Instanzen selbst (taktile und somatische Rezeptoren, Gelenk-, Muskelrezeptoren, Vestibulum[10]=Schwerkraft- und Gleichgewichts-Sinnesorgan) unterempfindlich oder versorgen mit Verarbeitungszentren unzureichend mit Informationen.

·         eine mangelnde Hemmung irrelevanter Reize bzw. eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen (Modulationsstörung, taktile bzw. vestibuläre Defensivität[11]): Hier kommt es regelmäßig zu Reizüberflutungen, die dann eine geordnete (Anpassungs-)
Reaktion verunmöglichen.

·         eine mangelnde Verknüpfung von Reizen (z.B. wird der Schwerkraftreiz nicht automatisch mit einer entsprechenden Muskelbereitstellung beantwortet.): Deshalb erfordert die Organisation der Haltung (des Haltungshintergrundes) Aufmerksamkeit. So kann es geschehen, dass ein Kind in der Schule beim Abschreiben von der Tafel vom Stuhl fällt, weil die durch das Abschreiben absorbierte Aufmerksamkeit der Haltungsorganisation verloren geht.


Wenn wir uns nun der sensorischen Deprivation vor dem Hintergrund der sensorischen Integration erneut zuwenden, so können wir neben der von außen verursachten sensorischen Deprivation eine in Defiziten des wahrnehmungsverarbeitenden Systems des Individuums begründete zumindest tendenziell ähnliche Erscheinung vermuten. Hier liegt der Mangel nicht im Reizentzug, sondern in der unzureichenden Reizaufnahme und -verarbeitung.

Förderung der Körpereigenwahrnehmung im Sinne der Sensorischen Integrationstherapie

Die Körpereigenwahrnehmung kann u.a. gefördert werden durch

·         isotonische Muskelkontraktion (Anspannung in der Bewegung).

·         isometrische Muskelkontraktion (Anspannung in der Ruhe).
Diese beiden Formen treten selten getrennt, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung auf. So ist das Laufen ein vor allem isotonischer, das Gewichtheben eine vorrangig isometrischer Vorgang.

·         durch Selbstberührung und passive Berührung (Erfahrung der körperlichen Begrenzung).

·         durch vestibuläre Stimulation (Schaukeln, Trampolinspringen u.a.).

·         durch „Hinspüren“, Achtsamkeit.


Psychische Erkrankungen und ihre Symptome aus der Sicht der traditionellen chinesischen Medizin


Die drei Schätze

Jing (Essenz), Qi und Shen (Geist) werden „die drei Schätze“ genannt.
Diese drei stehen für verschiedene Kondensationszustände des Qi. Jing ist der dichteste,  Qi der verfeinerte und Shen der immateriellste Zustand.
Das Jing ist in der Niere beheimatet und ist die vorgeburtliche, von den Eltern ererbte Essenz.
Das Qi wird aus der Atemluft und der Nahrung genährt und steht mit Lunge-Magen-Milz in Verbindung.
Das Shen hat seinen Sitz im Herzen.
Die drei Schätze bedingen einander.
Das Jing wird über Atem- und Nahrungs-Qi erneuert.
Das Shen bezieht seine Grundlage aus Jing und Qi.
„Sind Essenz und Qi stark und in Blüte, so ist der Geist glücklich, ausgeglichen und wach. Sind Essenz und Qi hingegen erschöpft, so leidet der Geist und kann unglücklich, deprimiert, ängstlich oder benebelt werden.“[12]

Umgekehrt jedoch können Emotionen das Shen und darüber mittelbar die anderen Organe, das Jing, Qi und Xue („Blut“) beeinflussen.


Geist und Psyche: Shen, Hun, Po, Yi, Zhi

Dem Shen werden in der Literatur unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen. Die beiden wichtigsten sind:
1. Denkaktivität, Bewusstsein, Einsicht und Gedächtnisvermögen = „Geist“

2. Geist, Wanderseele, Körperseele, Intellekt und Willenskraft = „der fünffache Geist“
Diese fünf mentalen und spirituellen Aspekte sind den 5 Yin-Organen wie folgt zugeordnet (sie „beherbergen“ diese):


·         Geist (Shen)            

-          Herz (Freude)


Shen ist die Schalt- und Koordinationsstelle aller psychischen Funktionen, die Zentrale des Denkens-, Fühlens und Wahrnehmens. Hun, Po, Yi und Zhi haben wichtige Funktionen, arbeiten dem Shen jedoch nur zu. Umgekehrt braucht das Shen deren Mitarbeit.


·         Wanderseele (hun) 

- Leber (Zorn)

Die Wanderseele ist mit dem westlichen, christlichen Verständnis von Seele verwandt. Sie betritt den Körper kurz nach der Geburt und überlebt diesen.
Die Wanderseele beeinflußt Schlafen, Träumen, rationales Denken, Intuition, Inspiration. Sie hält die Emotionen in der Waage, hat eine Beziehung zu den Augen und zu „Visionen und Einsicht“, zum Mut und zur Feigheit (die Leber als „entschlossenes Organ“). Sie unterstützt uns bei unserer Lebensplanung und –gestaltung.
Die Wanderseele hat eine intensive Beziehung zum Geist (shen). Sie beliefert den Geist mit Visionen, Plänen, schafft die Verbindung zwischen individuellem und universellem Geist (kollektives Unbewusstes, Archetypen u.a.). Umgekehrt strukturiert der Geist die Wanderseele.
Ist die Wanderseele schwach, kann der Mensch deprimiert und ziellos, weil ideen- und perspektivlos, werden.
Ist der Geist zu schwach, die Wanderseele im Zaum zu halten, wird der Mensch zerstreut und rastlos (die Wanderseele wandert ziellos umher), hat möglicherweise viele Ideen und Projekte, kann diese jedoch nicht umsetzen. Dann wird er von den Inhalten der Wanderseele überflutet. Dies kann Psychosen verursachen. Die Wanderseele hat ihren Sitz vor allem im Leber-Yin, das das Leber-Blut beinhaltet. Bei einer Schwäche des Leber-Yin verliert die Wanderseele ihre Heimat. Folge können Schlafstörungen, Angst und Orientierungslosigkeit sein.


·         Körperseele (po)   

- Lunge (Trauer, Depression)

Die Körperseele ist der physische Gegenspieler der Wanderseele. Nach dem Tod kehrt sie zur Erde zurück. Die wichtigste Aufgabe der Körperseele ist, die Essenz in der Sphäre des Körpers und der Emotionen zur Geltung zu bringen. Nur durch die Körperseele kann die Essenz hier ihre Wirksamkeit entfalten. Die Entwicklung der Sinnesorgane, der Wahrnehmung von körperlichem und seelischem Schmerz und deren Ausdruck in Schluchzen und Weinen, die Atmung, die Abschirmung des Individuums gegen äußere psychische Einflüsse (Wei Qi) und die Gestaltung des individuellen Lebens sind weitere Aufgaben der Körperseele.
Meditation beeinflusst über die Atmung und die Körperseele auch den Geist.
Schwächungen der Körperseele verursachen vor allem tagsüber Probleme und beeinträchtigen Vitalität und Kraft.


·         Intellekt (Yi)        

- Milz (Sorge, Grübeln)

Unter Intellekt wir hier die Fähigkeit für angewandtes Denken, Studieren, Konzentration.
Bei Milzschwäche wird das Denken stumpf, langsam und ungerichtet.


·         Willenskraft (zhi)     

- Niere (Angst)

Die Willenskraft gibt dem Menschen die Fähigkeit, die vom Geist formulierten Ziele umzusetzen. Sind shen und zhi stark, ist der Mensch in der Lage, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Ist die Niere schwach, wird die Willenskraft geschwächt. Menschen mit chronischer Depression leiden oft an Nierenschwäche.

Ist die Willenskraft geschwächt, bleiben die Pläne des Geistes graue Theorie.
Ist die Willenskraft stark, der Geist jedoch schwach, neigt der Mensch zu destruktivem und ergebnislosem Aktionismus.


Die Emotionen und die Yin-Organe: Mögliche Pathologien

Alle negativen Emotionen beeinträchtigen alle Organsysteme. Jedoch gibt es in den einzelnen Organen spezifische Resonanzen, die diese empfänglicher für bestimmte Emotionen machen und mit den Eigenschaften der Organe selbst zusammenhängen. Z.B. wird die Leber (Wandlungsphase Holz) Zorn und Wut geschädigt . Die in der Wut enthaltene Energie (Aggressivität = Fähigkeit, an die Dinge heranzugehen, sie anzupacken) ist auch für die Tatkraft des Holzes verantwortlich. Die Genauigkeit des Denkens (Wandlungsphase Erde, Milz) kann zu Grübelei werden.

Die Beeinflussung ist wechselseitig. Die Organe werden durch Emotionen beeinflusst und verändern ihrerseits die psychische Befindlichkeit.

Der Geist und das Herz stehen im Zentrum aller Yin-Organe und der mit diesen verbundenen Emotionen. Alle Emotionen treffen neben den entsprechenden Organen auch das Herz. „Das Herz allein kann die Wirkungen emotionaler Spannungen erkennen und fühlen, weil es für Bewusstsein und Wahrnehmung verantwortlich ist.“[13], d.h., auch für die Wahrnehmungsorganisation im Sinne der sensorischen Integration.


Die genannten Emotionen beeinträchtigen die in den Organen wirksamen vitalen Substanzen Qi, Blut und Yin. Die dadurch eintretenden Veränderungen können ihrerseits weitere Disharmonien verursachen, die die psychische Stabilität zusätzlich beeinträchtigen.


Leber

positive Emotionen

schädigende Emotionen

Kraft, Dynamik, Kreativität, Großzügigkeit, Furchtlosigkeit (die Leber als das „entschlossene Organ“)

Zorn, Groll, Wutunterdrückte Wut, Frustration, Ekel, Verbitterung

Mögliche Pathologien und ihre Auswirkungen[14]

Stagnation von Leber-Qi

Angestauter Zorn, chronische Depression

Leber-Blut-Stase

Ängstlichkeit, Unruhe, Ziellosigkeit, Reizbarkeit, Wutausbrüche, Psychose.
Die Wanderseele ist verwirrt.

Leber-Blut-Mangel

Einschlafstörungen, Depression, Verlust der Lebensorientierung und -perspektiven, Entscheidungsunfähigkeit: Mangelnde Verwurzelung der Wanderseele im Leber-Blut)

Blut-Hitze der Leber

Reizbarkeit, Zornesausbrüche, Schlafstörungen, Gewalttätigkeit, Impulsivität.Die Blut-Hitze stört die Wanderseele und orientiert sie zu stark nach außen.

Stagnation von Leber-Blut

Angst

Entleerung des Leber-Yin

Tiefe Depression, Orientierungslosigkeit. Gedächtnisschwierigkeiten, Schlafstörungen, Gefühl des Schwebens vor dem Einschlafen. Die Wanderseele ist ihrer Residenz beraubt.

Aufsteigendes Leber-Yang

Ausgelebter Zorn (Zorn als Maske/Abwehr für/von Schuldgefühlen)

Leber-Feuer

Ausgelebter Zorn

Da die Leber im Hervorbringungszyklus die „Mutter“ des Herzens ist, attackiert der Zorn das Herz. Leberfeuer verursacht Herz-Feuer.


Herz

positive Emotionen

Schädigende Emotionen

Freude

„Freude“: übermäßige Erregung und Begierde; ständige, meist subjektiv als angenehm empfundene, auf die Dauer aufzehrende mentale Stimulation; Manie; besessene Liebe; selbstverletzendes, süchtiges Beziehungsverhalten; plötzliche eintretende Freude

Mögliche Pathologien und ihre Auswirkungen



Stagnation des –Qi

Trauer, Depression, Weinerlichkeit, Beklemmung der Körperseele; negative Beeinflussung durch Probleme anderer

Herz-Blut-Mangel

Ängstliche Unruhe, Schreckbarkeit, Depression, chronische Müdigkeit, Konzentrationsschwäche: Der eist ist seiner Residenz beraubt.

Herz-Blut-Stase

Furchtsamkeit, Angstgefühle, Unruhe, Schreckhaftigkeit, Verlust des Einsichtsvermögens, Psychose

Blut-Hitze des Herzens

Durchschlafstörungen, Ängstlichkeit, Unruhe, evtl. Impulsivität. Die Blut-Hitze erregt den Geist.



Milz

positive Emotionen

Schädigende Emotionen

Ideen hervorbringen, Konzentration und Memorieren; stille Kontemplation und Meditation ("die Mitte aufsuchen")

Sorge, Brüten, Grübeln; Nachdenken über das Leben, anstatt es wirklich zu leben, fixe Ideen ("um eine fixierte Mitte kreisen").

Mögliche Pathologien und ihre Auswirkungen

Schwäche des Milz-Yin

Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, Einschränkung der Lernfähigkeit.


Lunge

positive Emotionen

Schädigende Emotionen

Lebensmut

Trauer, Gram, Reue

Mögliche Pathologien und ihre Auswirkungen

Stagnation des –Qi

Trauer, Depression, Weinerlichkeit, Beklemmung der Körperseele; negative Beeinflussung durch Probleme anderer

Schwächung des Lungen-Yin

Müdigkeit, Depression, Beeinflussung durch äußere psychische Kräfte (Schwäche des Wei-Qi) Antriebslosigkeit, Weinerlichkeit, Antriebslosigkeit. Die Körperseele ist ihrer Residenz beraubt.

Neben der Lunge beeinträchtigt die Trauer auch das Herz, bzw. die Lunge wird mittelbar über die Herzschädigung angegriffen.


Niere

positive Emotionen

Schädigende Emotionen

Flexibilität; ruhiges Ertragen von Entbehrungen

Chronische Angst und Ängstlichkeit; plötzliches Erschrecken

Mögliche Pathologien und ihre Auswirkungen

Enleerung des Nieren-Qi
Absteigen des Qi

Leere-Hitze des Herzens

Beeinträchtigung des Nieren-Yin

Erschöpfung, mangelnde Willens- und Durchsetzungskraft, Abnahme der geistigen Kapazität, Gedächtnisschwäche. Willenskraft und Gedächtnis sind ihrer Residenz beraubt.


Diagnose und Therapie mentaler und emotionaler Störungen

Die chinesische Diagnostik und Therapie geht in der Regel nicht von den westlichen Krankheitsbegriffen aus. Auch gibt es keine psychiatrische Diagnostik und Therapie im engeren Sinne. Da die chinesische Medizin Körper, Geist- und Seele als Einheit sieht, erfolgt die Diagnose wie bei anderen Erkrankungen anhand ihrer Wirkungen auf Qi, Blut und Yin. In der Therapie kommen Akupunktur- und Kräuterbehandlung gleichermaßen zum Einsatz[15]. Literatur zum Thema einer gezielten therapeutischen Anwendung von Qigong konnte nicht nachgewiesen werden.


Qi, Blut,Yin: Stagnation, Stase, Hitze, Schleim

Psychischer Stress führt zu Qi-Mangel oder rebellierendem Qi (das Qi tut nicht, was es soll; es steigt zum Beispiel auf, wo es absteigen sollte.). Zorn, vor allem, wenn er unterdrückt ist bedingt eine Qi-Stagnation in der Leber.
Diese äußert sich wiederum als Depression, Reizbarkeit, Frustration. Bei starker Stagnation kommt es zu Schlafstörungen (Beeinträchtigung der Wanderseele).

Gravierender sind die Auswirkungen auf das Blut, da dieses die materielle Grundlage für Geist und Psyche bildet. Blut ist Yin  und beherbergt die Psyche (Yang).
Herz-Blut-Mangel kann Depressionen, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen verursachen.
Herz-Blut-Stase kann Phobien, Angststörungen, Unruhe, Verlust des Einsichtsvermögens und Psychosen hervorrufen.
Blut-Hitze des Herzens bedingt Durchschlafstörungen, Ängstlichkeit, Impulsivität und Rastlosigkeit.


Die Wirkungen von emotionalem Stress auf das Yin sind ähnlich denen auf das Blut, das ein Teil des Yin ist, jedoch können sie tiefgreifender sein.
Ein Yin-Mangel kann Depression, Müdigkeit, Gleichgültigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen verursachen. Diese werden in der Terminologie der westlichen Psychiatrie als Minus-Symptome (kognitive und psychische Funktionen sind eingeschränkt) bezeichnet.
Yin-Mangel kann jedoch auch Leere-Hitze hervorbringen. In diesem Fall erhält das Yang ein relatives Übergewicht. Der Geist ist beunruhigt und ängstlich, aggressiv und ungeduldig.


In der folgenden Tabelle[16] sind die Beeinträchtigungen der vitalen Substanzen systematisiert. Es gibt eine unmittelbare Wirkung und weitere Wirkungen, die sich aus der unmittelbaren Wirkung ergeben.

Substanz

unmittelbare Wirkungen

weitere Wirkungen

Qi

Mangel

Schleim[17]



Stagnation

Blut-Stase

Blut

Mangel





Hitze

Schleimfeuer[18]



Stase



Yin

Mangel

Leere-Hitze





innerer Wind


Westliche Krankheitsbegriffe und chinesische Entsprechungen

Westliche psychiatrische Krankheitsbegriffe können beispielsweise folgende Entsprechungen in der chinesischen Medizin haben.


Psychosen

Der schwache Geist wird von den Inhalten der Wanderseele überflutet und „verstopft“.

Depression

·         Schwäche der Niere und Willenskraft

·         Unterdrückter Zorn oder Groll (Qi-Stagnation in der Leber), Yin-Mangel

·         Loderndes Leber-Feuer (Qi-Stagnation wandelt sich in Feuer)

·         Schwäche des Herz-Qi, Herz-Blut-Mangel

·         Schleim blockiert Qi-Fluss (Milzbeeinträchtigung durch Grübeln)

·         Blut-Mangel durch übertrieben Angst

Manie

·         Fülle des Herz-Qi

·         Blockierung des Geistes Schleim, Stagnation von Qi oder Blut

Schizophrenie

Blockierung des Geistes durch Schleim, Stagnation von Qi oder Blut

Schlafstörungen

Starke Qi-Stagnation in der Leber (die Wanderseele irrt umher)

Phobien, Angststörungen

Herz-Blut-Stase

Manisch-depressive Erkrankung

Schleimfeuer


Chinesische Krankheitsbegriffe und Therapieansätze

Psychische Störungen in der Terminologie der chinesischen Medizin haben immer Wirkungen auf Qi, Blut, und Yin und können durch Störungen dieser "Substanzen" verursacht sein. Aus Phänomenologie und Pathologie ergeben sich entsprechende Therapie-Richtlinien


Störung des Geistes

Pathologie

Therapiemethode

Blockierung:
verwirrtes Denken, benebelter Geist, Verlust der Einsichtsfähigkeit, formale Denkstörungen, Schizophrenie, Manie

Qi-Stagnation

Qi bewegen, den Geist beruhigen

Blut-Stase

Blut bewegen, den Geist beruhigen

Schleim:
Schleim behindert den Geist und das Denken, beunruhigt aber nicht. Er macht müde, antriebsschwach, deprimiert.

Schleim auflösen, die Öffnungen freimachen, den Geist beruhigen

Beunruhigung:
Erregung, Ruhelosigkeit, Ängstlichkeit

Blut- und/oder Yin-Mangel

Das Herz nähren, den Geist beruhigen

Yin-Mangel mit Leere-Hitze

Das Yin nähren, Leere-Hitze beseitigen, den Geist beruhigen

Qi-Stagnation

Qi bewegen, den Geist beruhigen

Blut-Stase

Blut bewegen, den Geist beruhigen

Feuer

Feuer ausleiten, den Geist beruhigen

Schleim-Feuer:
Schleim-Feuer behindert den Geist und das Denken, beunruhigt aber auch. Der

Feuer ausleiten, Schleim auflösen, die Öffnungen freimachen, den Geist beruhigen

Schwächung:
Depression, geistige Erschöpfung, Melancholie

Qi-Mangel

Qi tonisieren, den Geist beruhigen und klären

Yang-Mangel

Yang tonisieren, den Geist beruhigen und klären

Blut-Mangel

Das Blut nähren, den Geist beruhigen

Yin-Mangel

Das Yin nähren, den Geist beruhigen



Die Praxis


Die Gruppe

Zu meiner Gruppe gehörten drei Frauen und zwei Männer mit folgenden Krankheitsbildern:

·         paranoid-halluzinatorische Schizophrenie

·         schizo-affektive Psychose (Schizophrenie mit manisch-depressiven Anteilen)

·         Borderline-Störung mit Medikamentenabhängigkeit und Selbstverletzungs-Tendenzen


Alle lebten in einem sozialtherapeutischen Wohnprojekt für chronisch psychisch Erkrankte, waren trotz antipsychotischer und antidepressiver Medikation häufig durch Antriebsschwäche und depressive Phasen beeinträchtigt und z. T. florierend psychotisch.


Ich leitete diese Gruppe über 11 Monate von Ende 2002 bis zum Herbst 2003 im Rahmen meiner Berufstätigkeit als Ergotherapeut. Die Gruppe fand einmal in der Woche 30-40 Minuten statt, während einer Phase von ca. 3 Monaten auch an vier weiteren Wochentagen jeweils morgens eine Viertelstunde.

<>Meine Arbeit mit den Teilnehmern endete mit der Beendigung meiner dortigen Anstellung.
<>
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Die Kontinuität der Teilnahme wurde maßgeblich vom Betreuungsteam der Wohngruppen gewährleistet. Diese Art der gestützten Motivation ermöglichte positive Entwicklungen.

Viele psychisch gestörte Menschen haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper. Sie vernachlässigen seine Pflege, blenden sein Vorhandensein aus, leiden unter Schmerzen, meiden oder fürchten Bewegung.

Ziel meiner Arbeit mit psychisch gestörten Menschen ist, den Körper als zentrale Realität des Lebens und Körperpflege als Selbstpflege (wieder) bewußt zu machen.


Übungspraxis

Diese orientiert sich gleichermaßen an den Kriterien der Sensorischen Integrationstherapie wie der traditionell chinesischen Denkweise.

Da sich die TeilnehmerInnen überwiegend in einem schlechten muskulären und konditionellen Zustand befanden, nahmen aktivierende, tonisierende Übungen einen großen Anteil der Übungspraxis ein. Jedoch sollte immer unterhalb der Belastungsgrenze gearbeitet werden.

Jing und Qi sind die Basis für Shen. Deshalb wirken alle Übungen, die das Jing und Qi nähren, auch positiv auf das Shen. Eine zentrale Rolle nehmen Übungen ein, die das untere und mittlere Dantian nähren und verbinden, ein Gegengewicht zur oberen Fülle setzen und das „Feuer unter das Wasser bringen“.
Eine Teilnehmerin hatte immer wieder (hypo-)manische, euphorisierte Zustände. Regelmäßig war der Preis, den sie anschließend dafür zahlen mußte, der Sturz in eine tiefe Depression, oft mit stuporösem Erscheinungsbild (körperliche Erstarrung). Verständlicherweise zieht diese Frau die manischen Phasen, in denen sie leistungsfähiger und körperlich beweglicher ist, den depressiven vor. Eine Male gelang es durch die Qigong-Übung, dieser pathologischen Hochgestimmtheit, die im Übrigen für die übrigen Teilnehmer sehr störend war, die Spitze zu nehmen, ohne einen Absturz zu initiieren, da ihr Wohlsein durch Verwurzelungs- und das Dantian nährende Übungen eine tragfähigere Basis erhielt. Auf diese Weise stieg die Fähigkeit und damit auch Bereitschaft dieser Frau, sich emotional mehr in der Mitte einzurichten.

Verwurzelungsübungen (Zhan Zuang, Stehen wie ein Baum, Steigen und sinken) erhöhen die Standfestigkeit und stärken das Nieren-Qi.

Selbstmassage ist vor allem bei dissoziativem Körpererleben (der Körper wird im Erleben abgespalten, als nicht zur eigenen Person gehörig erlebt) hilfreich. Es ist für manche Menschen nicht selbstverständlich, sich des eigenen Körpers durch Selbstberührung zu vergewissern.

Ein 34-jähriger Teilnehmer, der trotz neuroleptischer Behandlung weiterhin an akustischen, möglicherweise auch visuellen Halluzinationen leidet, darüber hinaus fürchtet, bei Anstrengung einen Herzinfarkt zu erleiden, wurde beim Üben zunehmend unruhig. Dazu befragt, sagte er, er spüre seine Füße nicht. Eine Knet- und Klopfmassage der Füße half ihm, die Übung konzentrierter fortzusetzen.

Das Singen der Heilenden Laute oder spontan improvisiertes Singen unterstützt über die Vibration in den jeweiligen Resonanzzentren das Körpererleben. Die heilenden Lauten im Zusammenhang der 5-Elemente-Übung oder im Liegen mit Auflegen der Hände auf die jeweiligen Organe, bei gleichzeitiger Visualisierung des Organs und Würdigung der von ihm geleisteten Arbeiten. Darüber hinaus fördern die heilenden Laute die emotionale Ausdrucksfähigkeit und das Gruppenerleben.

Chronisch psychisch kranke Menschen verbringen z.T. viel Zeit im Bett, wo sie sich in eine körperliche Erschlaffung ergeben. Deshalb wurde eine Entspannung (Lockerung von Muskulatur und Gelenken) vorzugsweise über Anspannung im Sinne der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobsen angestrebt. Hierbei erfährt der/die Übende über die Muskelanspannung eine klare Rückmeldung. Die Aufmerksamkeit wird auf die jeweilige Körperregion gerichtet und Entspannung als Eutonie im Sinne eines entspannt-gespannten Bereitschaftszustandes erreicht.

Der Antriebslosigkeit  lässt sich mit dynamischen (Aufwärm-)Übungen (Hüpfen, Schütteln, Schwingen) begegnen. Auch isometrische, anstrengende Übungen sind hilfreich (breiter, tiefer Stand, langsame Bewegungen mit maximaler Körperspannung).

Qigong kann auch helfen, die eigenen Grenzen für sich selbst und andere deutlicher zu machen. Gerade bei schizophrenen und Angsterkrankungen werden die Grenzen zwischen Person und Umgebung häufig diffus erlebt, was paranoides Erleben zur Folge haben kann: Der/die Betroffene glaubt, andere könnten ihre Gedanken lesen oder hören, fühlt sich durch Straßengeräusche bedroht, durch andere Menschen verfolgt usw.. Manche von ihnen spüren nicht, wenn andere Menschen ihnen zu nahe kommen und sie dadurch energetisch negativ beeinflussen. Da soziale Beziehungen immer räumliche Beziehungen sind, können sie im Raum bewusst erfahrbar gemacht werden.

Hier wurde das Qigong-Übungsprogramm ergänzt durch Distanzübungen: Eine Person nähert sich einer anderen. Letztere gibt ein Stop-Zeichen, wenn sie das Gefühl hat, ihre persönliche Grenze sei erreicht. Anfangs kam das Stop-Zeichen meist erst dann, wenn die Grenze bereits überschritten und ein Unwohlsein eingetreten war. Mit zunehmender Sensibilisierung wurde der Grenzraum erweitert.

Die durch das Qigong erhöhte Sensibilität kann das Erleben auch negativ beeinflussen.

Ein Teilnehmer, der seine Begegnungen mit anderen Menschen häufig paranoid verarbeitete, klagte darüber, dass er durch die Übungen so sehr geöffnet werde, dass er sich gegen die Umgebung (99 MitbewohnerInnen mit z.T. schwersten Symptomatiken, incl. Spätdyskinesien[19] ) nicht mehr ausreichend abgrenzen könne. Er fühle sich dadurch sehr beeinträchtigt. Leider war er nicht dazu zu bewegen, einen weiteren Versuch mit veränderten Übungsabläufen (z.B. eine Betonung des Wie Qi in eher der Kampfkunst zuzurechnenden Übungen) zu wagen. Möglicherweise wurde hier der Übungsabschluß (das Sammeln des Qi im unteren Dantian, der Übergang aus der Übezeit in den Alltag) nicht ausreichend angeleitet. Schließlich einigten wir uns darauf, gemeinsam eine Karate-Kata zu erarbeiten.

In diesem Sinne sind auch kampfkunstnahe Qigong-Übungen, die das Wei-Qi (Abwehr-Qi) nähren, sinnvoll, dies vor allem für Menschen, die wenig Kontakt zu ihrer Aggressivität haben und sich gegen andere nicht ausreichend abgrenzen können.

Übungen, die verstärkt mit Vorstellungen arbeiten (Sitzmeditation, Stilles Qigong), kommen gar nicht oder nur sehr vorsichtig (nach gründlicher Vorbereitung durch bewegte und isometrische Übungen) zum Einsatz, um der Tendenz zum „Abdriften“ keinen Raum zu geben. Von Qigong-Übenden berichtete visuelle Sensationen (Sehen des „Qi-Mantels“ oder der „Aura“), die für eine starke Sensibilisierung sprechen, werden allzu leicht psychotisch verarbeitet.

Da das lange Stehen den TeilnehmerInnen sehr schwer fiel, wurden zunehmend Geh-Übungen und Übungen im Liegen in das Programm aufgenommen.

Sehr wichtig war, die TeilnehmerInnen immer wieder zu Rückmeldungen über die Wirkungen des Übens aufzufordern und diese als bedeutsamen Aspekt des Lernprozesses darzustellen, da sie z.T. dazu neigten, unangenehme Empfindungen, Gefühle und Gedanken als persönliches Versagen zu sehen.
Leider ließen sie sich nicht dazu zu bewegen, die Übungen dauerhaft auch eigenständig durchzuführen oder Bewegungsgewohnheiten ihres Alltags (Auf- und Abgehen auf dem Flur) mit Achtsamkeit nachzugehen.

Auffallend eingeschränkt war das Bewegungsgedächtnis. Auch einfache Sequenzen mußten immer wieder demonstriert werden.


Wirkungen

Rückmeldungen der TeilnehmerInnen

·         Häufig wurden die Übungen, vor Allem das Stehen, als zu anstrengend erlebt. Dagegen waren Übungen im Gehen oder Liegen z.T. sehr beliebt, so dass sie schließlich den größten Anteil einnahmen.

·         Es wurde mehrfach berichtet, dass die der Übungszeit anschließende Nachmittagszeit in erheblich größerer Ruhe verbracht werden konnte.

·         Ein (täglich halluzinierender) Teilnehmer berichtete: „Meine Emotionen sind jetzt in die Beine gerutscht.“ Derselbe nannte die Qigong-Wirkung „wunderbar“.

·         Eine Teilnehmerin konnte gelegentlich auf eine zusätzliche Medikation (sog. „Bedarfsmedikation“ zur Abmilderung von Krisenspitzen) verzichten.

·         Eine zwanghafte Patientin, die immer darauf fixiert war, Alles „richtig“ zu machen, antwortete mir einmal, als ich einen Bewegungsablauf korrigierte: „Es ist mir egal.“ Vielleicht wurde auch diese authentische Aussage, die mich spontan sehr erfreute, erst durch die in der Übung gewonnene Standfestigkeit möglich.


Resümée:

Qigong als körperorientierte, ganzheitliche übende Methode kann in der psychiatrischen Arbeit erfolgreich praktiziert werden.

Wie am Beispiel der Sensorischen Integrationstherapie deutlich wird, lassen sich westliche und asiatische Denk- und Handlungsansätze sinnvoll verbinden.

Qigong bietet sich vor allem auch deshalb an, weil es nicht nur der körperliche Ertüchtigung und Beweglichkeit dient, sondern über die geistigen Inhalte einen Zugang für "Sportmuffel" und Kopfmenschen, von denen es im psychiatrischen Feld viele gibt, bietet.

Weltabgewandte Spiritualität, vielfach der Einstiegspunkt für psychiatrische "Karrieren", vermag hier eine physische Basis zu erhalten.
Auf diese Weise kann es gelingen, der wichtigsten menschlichen Realität, der Körperlichkeit, wieder den ihr gebührenden Platz einzuräumen.
Qigong kann medikamentöse Behandlung nicht ersetzen, aber unterstützen und u.U. die Dosen reduzieren helfen. Auch hier sollte man, bei aller berechtigter Skepsis, nicht den Fehler machen, in Konkurrenz zu für die Betroffenen häufig sehr hilfreichen Methoden zu treten. Da Qigong jedoch eine Selbsthilfe-Methode ist, kann es Menschen bei der Wiedererlangung bzw. Stärkung ihrer Autonomie und Entscheidungsfähigkeit und der Stabilisierung ihrer Lebensumstände helfen.


Verwendete Literatur:

·          "Es ist die Angelegenheit der ganzen Gesellschaft...", in Materialien-Heft Nr. 5, (Hrsg) Informationsstelle Kurdistan e.V., Berlin 2000. zitiert nach http://www.mozaik-bonn.de/dergi7.html

·          (http://paedpsych.jku.at:4711/LEHRPROGRAMME/PSYCHGRUNDLAGEN/Contents/Descript/sensdepr.htm)

·          Guorui, Jiao: Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong. Uelzen. 2. Aufl. 1991

·          Guorui, Jiao: Qigong Yangsheng. Uelzen, 2. Auflage 1989. S. 60

·          Hesse, Wolfgang/ Königer, Gabriele: Erfahrungen mit Angeboten zur sensorischen Integration in der Behandlung akut schizophrener Patienten. In Ergotherapie & Rehabilitation. Heft 1. Januar 1998. S.5 ff.

·          Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997

·          Novotny , U. e.a.: Risiken und Komplikationen bei Tai Chi und Qi Gong. zitiert nach http://www2.lifeline.de/yavivo/Verfahren/Naturheilverfahren/QiGong_TaiChi/30Risiken.html. 2001

·          Focks, Claudia / Hillenbrand, Norman (Hrsg.):Leitfaden Traditionelle Chinesische Medizin. München. 1997



[1] Guorui, Jiao: Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong. Uelzen. 2. Aufl. 1991

[2] Guorui, Jiao: Qigong Yangsheng. Uelzen, 2. Auflage 1989. S. 60

[3] Novotny , U. e.a.: Risiken und Komplikationen bei Tai Chi und Qi Gong. zitiert nach http://www2.lifeline.de/yavivo/Verfahren/Naturheilverfahren/QiGong_TaiChi/30Risiken.html. 2001

Die Frage ist, was hier mit Psychosen gemeint ist. Nicht jede Halluzination oder ungewöhnliche visuelle Sensation (von Qigong-Übenden werden Sehen der Aura oder des Qi-Mantels berichtet) ist Ausdruck einer Psychose.

[4] Vulnerabilität ist die konstitionelle Prädisposition eines Menschen, auf psych-osoziale Stressmomente mit einer schizophrenen Erkrankung zu reagieren. Das Vulnerabilitätsmodell ist Ausdruck einer veränderten Sichtweise der schizophrenen Psychose, die die Krankheitsgenese nicht nur genetisch, sondern auch psychodynamisch und psycho-sozial sieht, wodurch psychotherapeutische Verfahren und Gestaltung der Lebensumwelt ein zunehmend wichtiger Teil des Umgangs mit der Krankheit wurden und evtl. Rezidiven – Rückfälle in akut-psychotische Zustände – vorbeugen konnten.

[5] Hesse, Wolfgang/ Königer, Gabriele: Erfahrungen mit Angeboten zur sensorischen Integration in der Behandlung akut schizophrener Patienten. In Ergotherapie & Rehabilitation. Heft 1. Januar 1998. S.5 ff.

[6] Zoenästhesien sind keine Körperhalluzinationen, sondern „Als-Ob“-Erlebnisse, die quälend sein können. Beispiele: „Als ob eine Ameisenstraße durch den Körper führt“, „Als ob Nägel durch die Haut getrieben würden.“ Der Unterschied zur Halluzination ist, dass die Zoenästhesie vom Betroffenen in ihrer Unwirklichkeit realisiert wird.

[7] „Beispiel: Eine Versuchsperson wird in einem ruhigen, dunklen Raum auf eine Liege gelegt und festgebunden, so daß sie sich nicht mehr bewegen kann. Als Folge dieses Zustands steigt bei der Person das Verlangen nach Sinnesreizen und Körperbewegung. Je länger dieser Zustand der Deprivation andauert, desto mehr lassen sich bei dem Betroffenen Störungen des normalen Denkablaufs, Konzentrationsschwäche, depressive Verstimmungen und in einzelnen Fällen auch Halluzinationen beobachten.“ (http://paedpsych.jku.at:4711/LEHRPROGRAMME/PSYCHGRUNDLAGEN/Contents/Descript/sensdepr.htm)


[8] Die Isolation, die von den Wissenschaftlern "sensorische Deprivation" genannt wurde, erklärt der Facharzt für Psychiatrie Sjen Teuns in seinem Buch "Isolation/ Sensorische Deprivation: die programmierte Folter" folgendermaßen: Sensorische Deprivation ist die "Isolation von der Umwelt durch Aushungerung der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tast- Organe. (...) Durch Aushungern im herkömmlichen Sinne kann man ebenso wie durch Erschießen oder Vergasen sowohl menschliches als auch tierisches Leben vernichten. Sensorische Deprivation hingegen ist eine speziell auf den menschlichen Organismus zugeschnittene Methode der Zerstörung von Lebenssubstanz. (...) Über Monate und Jahre angewendet, ist sie der sprichwörtlich 'perfekte Mord' für den keiner - oder alle, außer den Opfern- verantwortlich ist".

zitiert nach: "Es ist die Angelegenheit der ganzen Gesellschaft...", in Materialien-Heft Nr. 5, (Hrsg) Informationsstelle Kurdistan e.V., Berlin 2000. zitiert nach http://www.mozaik-bonn.de/dergi7.html


[9] Der Begriff Intake (=“Hineinnahme“) beinhaltet, dass Wahrnehmung kein passiver Prozess ist, bei dem etwas in das Individuum eingegeben (Input wie bei einem Computer), sondern ein in der Verarbeitung und Beantwortung aktiver und selektiver Vorgang. Diese Tatsache ist die Begründung Reizüberflutung in Folge mangelnder Reizhemmung und –selektion, für Verkennungen und andere Wahrnehmungsschierigkeiten.

[10] Das Vestibulum, bestehend Sacculus, Utriculus und Bogengängen, befindet sich im Innenohr.

[11] Modulation ist die Verstärkung (z.B. „Hinhören“) bzw. Hemmung („Ausblenden“) von Reizen. Taktile Defensivität ist ein protopathisches (entwicklungsgeschichtlich altes) Reaktionsmuster, das auf Berührung mit Flucht oder Angriff reagiert. Dieses Muster muss gehemmt werden, damit wir Berührung auch epikritisch (unterscheidend, „ertastend“) interpretieren können.

[12] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S.188

[13] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 201

[14] Die Beeinflussung zwischen Organen und Emotionen ist jeweils wechselseitig zu verstehen.

[15] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 212 ff.

[16] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 216

[17] "Schleim" ist keine Substanz. Er "verstopft den Geist und die Herzöffnungen und behindert das Denken.

[18] Schleim-Feuer bewirkt neben den Eigenschaften des Schleims noch unnatürliche Euphorie  und manisches Verhalten. Dies kann bis zu einer manisch-depressiven Erkrankung führen.

[19] Durch Neuroleptica (anti-psychotische Medikamente) verursachte irreversible Bewegungsstereotypien