![]() Der Zweck heiligt die
Mitte
Qigong mit chronisch
psychisch beeinträchtigten Menschen
Dozenten:
Walter Gutheinz Rainer Jakisch Teilnehmer: Bernhard Haas Inhalt
Der Zweck heiligt die Mitte
Qigong mit chronisch psychisch
beeinträchtigten Menschen
„Menschen, deren Geist in
Verwirrung geraten ist, sollten im allgemeinen keine
Qigong-Übungen ausführen. Dies gilt insbesondere für den
Aspekt der Vorstellungsübungen und speziellen Atemtechniken. Wenn
es der geistige Zustand erlaubt, können jedoch die harmonischen
Körperbewegungen oder der feste Stand auf der Erde durch ihre
regulierende Wirkung zu einer Verbesserung des geistigen Zustandes
beitragen.“[1]
„Für
Schwerstkranke und Patienten mit Geisteskrankheiten ist die
Qigong-Therapie nicht geeignet. Übungen, bei denen das Bewahren
und Lenken der Vorstellungskraft eine große Rolle spielt, eignen
sich nicht für Menschen, deren Gemütslage nicht stabil ist,
die stets eine skeptische Grundstimmung haben, denen es an
Objektivität mangelt, die immer extreme und radikale Meinungen
haben oder die sehr leicht erregbar sind. Diese Menschen sollten
Übungsmethoden wählen, bei denen die körperliche
Bewegung den Hauptaspekt bildet.“[2]
„Es wurde
darüber berichtet, dass unter Qi-Gong-Übungen Psychosen in
Erscheinung traten. Dabei handelte es sich weltweit um
Einzelfälle. Ist eine Psychose bekannt, sollte man daran
allerdings denken und lieber einmal zuviel den Arzt um Rat fragen.“[3]
Die folgenden Ausführungen sind der Niederschlag meiner Arbeit mit chronisch psychisch kranken Erwachsenen und meiner Lektüre zu diesem Thema. Aufgrund der zeitlichen (1 Jahr) und personellen (der Gruppe gehörten 4-5 Personen an) Beschränkung sind sie als persönliche Reflexion und Hypothesenbildung aufgrund meiner Erfahrungen zu verstehen. Sie erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Jedoch scheint mir eine Diskussion der erwähnten Aspekte und Fragen sinnvoll, zumal ganz unvermeidbar in unsere Arbeit mit Menschen unausgesprochene oder formulierte Überzeugungen, Annahmen und Ängste einfließen. Diese in mir selbst aufzusuchen und zu benennen war mir ein wichtiges Anliegen.
Ausgangspunkt meines
Vorhabens, mit psychisch kranken Menschen Qigong zu üben, waren
nicht die oben zitierten Ausführungen, sondern die Sensorische
Integrationstherapie und -theorie nach Jean Ayres, die ich als
Ergotherapeut kennengelernt habe und in meiner Arbeit mit Kindern
praktiziere. In den 90er Jahren
begannen Ergotherapeuten des Kölner Alexianerkrankenhauses,
Elemente der sensorischen Integrationstherapie (Erläuterung weiter
unten) in der Behandlung akut schizophrener Patienten zu integrieren.
Sie gingen dabei von der Überlegung aus, „dass von schizophrenen
Störungen betroffene Patienten wahrscheinlich auch Störungen
der sensorischen Integration als ein Vulnerabilitätsmerkmal[4] aufweisen
werden“[5]. Man kann
also vermuten, dass eine eingeschränkte Körperwahrnehmung ein
bedeutsamer somatischer und physiologischer Aspekt jeder psychischen
Erkrankung ist, vor allem solcher, die mit Halluzinationen verbunden
sind.
Die Beschreibung
psychiatrischer Krankheitsbilder beschränkt sich auf für die
Qigong-Arbeit relevante Aspekte. Die Sichtweise der chinesischen
Medizin wird nicht konkurrierend zu den Erkenntnissen der westlichen
Medizin dargestellt. Die körperliche
Destabilisierung, die mit allen psychischen Erkrankungen verbunden ist,
kommt in der Bildhaftigkeit der Sprache zum Ausdruck: ·
„Am
Boden sein“, wie es in der Depression der Fall ist. ·
„Den
Boden unter den Füßen verlieren“ wie bei Schizophrenien und
manischen Erkrankungen.
Sensorische
Integrationstherapie und Qigong-Praxis geben, von unterschiedlichen
Überlegungen und Erfahrungen ausgehend, der Wahrnehmung
(Achtsamkeit) den Focus im Gegensatz zu einer mechanischen
(„gymnastischen“) Bewegungsübung. Handeln ist in dieser Sichtweise
immer das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit und der Vermittlung von
äußeren und inneren (körperbezogenen, psychischen)
Ereignissen und Zuständen.
Aspekte psychischer
Erkrankungen
Formale
Denkstörungen beziehen sich nicht auf die Denkinhalte, sondern die
Denkstrukturen und -prozesse. Schizophrene Denkstörungen sind
gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, sich auf die relevanten
Aspekte einer Aufgabe zu konzentrieren oder diese Aufmerksamkeit
aufrechtzuerhalten. Das Denken ist gekennzeichnet durch
Sprunghaftigkeit und Uferlosigkeit. „Tausend Gedanken durch
einen (den wesentlichen) ersetzen“ ist ein wichtiges Ziel der
Qigong-Übung - nicht nur für psychisch Erkrankte.
Halluzinationen treten
ebenso wie Wahnvorstellungen (Paranoia) häufig im Verlauf von
schizophrenen Erkrankungen auf (paranoid-halluzinatorische
Schizophrenie). Eine Halluzination ist
eine Wahrnehmung idiosynkratischer Natur, d.h. es gibt keinen
äußeren oder inneren (aus dem eigenen Körper kommenden)
Reiz, der das Erleben begründen könnte. Die häufigste
Halluzinationen sind akustischer und visueller Natur. Oft sind es
kommentierende und befehlende Stimmen, die den Betroffenen entwerten,
beschimpfen oder ihn zu aggressiven Handlungen
gegen andere oder sich selbst - bis zum Suizid -auffordern.
Die Depression, auch
„Gefühl der Gefühllosigkeit“ genannt, ist u.a. gekennzeichnet
durch Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Gefühle der
Aussichtslosigkeit bis hin zur Suizidalität, Wertlosigkeit und
Antriebsschwäche. Neben der psychischen
Funktion müssen wir Antrieb auch als physiologisch-neurologisches
Phänomen betrachten. Fehlender oder eingeschränkter
körperlicher Antrieb ist meist mit einem niedrigen Muskeltonus und
einem sensorischen Mangel verbunden. Körperliche Aktivität
ist ein oft erfolgreiches Mittel, die depressive Antriebslosigkeit
zumindest vorübergehend aufzuhellen und die Einseitigkeit und
Selbstdestruktivität des Denkens zu durchbrechen – einfach
dadurch, dass selbsttätig eine andere starke Realität
geschaffen wird.
Manie
Sensorische Deprivation
(Entzug aller akustischen, visuellen und der meisten Körperreize)
wird experimentell zur Klärung wichtiger psychologischer
Fragestellungen in schalltoten und lichtlosen Räumen hergestellt
und kann zu intellektueller Verwirrtheit, Angstzuständen,
Ruhelosigkeit, Orientierungsverlust, Wahrnehmungstäuschungen
(Verkennungen, Zoenästhesien[6],
Halluzinationen) führen.[7]
Eine der schlimmsten
Foltermethoden ist die Isolationsfolter in einem fensterlosen, schalltoten
Raum (sensorische Deprivation als „Weiße Folter“). Schon nach
wenigen Stunden beginnen die einzeln Eingeschlossenen zu halluzinieren,
schaffen die ihnen vorenthaltene Wirklichkeit aus dem visuellen,
auditiven Material ihrer unermeßlichen Erinnerungen.[8] Wer jemals in
einem solchen Raum war (einen solchen gibt es z.B. in der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt PTB in Braunschweig), kennt das
Gefühl der Unruhe und Verunsicherung. Unter sensorischer
Integration versteht man die geordnete Verarbeitung von
äußeren und inneren Sinneseindrücken, die es
ermöglicht, auf den Input bzw. Intake[9] angemessen zu
reagieren, mithin sinnvoll mit der Umwelt zu interagieren und dazu den
eigenen Körper zielgerichtet einzusetzen. Ein wichtiger
Bestandteil der sensorischen Integrationsfähigkeit sind auch
Haltungs- und Bewegungsprogramme. Beispiele:
·
Die
Schwerkraftempfindung führt zu einer automatischen
Muskelbereitstellung, die uns die Aufrechterhaltung unserer
Körperhaltung ermöglicht. Sobald dieses Haltungsprogramm
zuverlässig arbeitet, sind wir in der Lage, unsere Aufmerksamkeit
Anderem zuzuwenden, z.B. einem Ball, der auf uns zufliegt. Der visuelle
Reiz provoziert eine Bewegung der Hand in die projizierte Flugbahn des
Balles. Diese Hinbewegung zum Ball ist z.T. visuell gesteuert,
erfordert aber auch in jedem Abschnitt Haltungsanpassungen. ·
Das
Drehen des Kopfes zu einer akustischen Reizquelle (jemand ruft meinen
Namen, ich drehe mich um), Hand-Auge-Koordination beim Malen und
Schreiben sind weitere Situationen, in denen sensorische Integration
gefordert ist. ·
Ein
wichtiger Bestandteil einer gelungenen sensorischen Integration ist
auch die Hemmung irrelevanter Reize (z.B. das weitgehende Ausblenden
der Stimmen in einem Café, während wir uns unterhalten oder
ein Buch lesen).
Störungen der
sensorischen Integration können verschiedene Ursachen haben: ·
eine
mangelnde Reizaufnahme (sensorische Rezeption gestört): Hierbei
sind die Sinneswerkzeuge bzw. die Weiterleitungswege zu zentraleren
neuronalen Instanzen selbst (taktile und somatische Rezeptoren,
Gelenk-, Muskelrezeptoren, Vestibulum[10]=Schwerkraft-
und Gleichgewichts-Sinnesorgan) unterempfindlich oder versorgen mit
Verarbeitungszentren unzureichend mit Informationen. ·
eine
mangelnde Hemmung irrelevanter Reize bzw. eine Überempfindlichkeit
gegenüber bestimmten Reizen (Modulationsstörung, taktile bzw.
vestibuläre Defensivität[11]): Hier kommt
es regelmäßig zu Reizüberflutungen, die dann eine
geordnete (Anpassungs-) ·
eine
mangelnde Verknüpfung von Reizen (z.B. wird der Schwerkraftreiz
nicht automatisch mit einer entsprechenden Muskelbereitstellung
beantwortet.): Deshalb erfordert die Organisation der Haltung (des Haltungshintergrundes)
Aufmerksamkeit. So kann es geschehen, dass ein Kind in der Schule beim
Abschreiben von der Tafel vom Stuhl fällt, weil die durch das
Abschreiben absorbierte Aufmerksamkeit der Haltungsorganisation
verloren geht.
Wenn wir uns nun der
sensorischen Deprivation vor dem Hintergrund der sensorischen
Integration erneut zuwenden, so können wir neben der von
außen verursachten sensorischen Deprivation eine in Defiziten des
wahrnehmungsverarbeitenden Systems des Individuums begründete
zumindest tendenziell ähnliche Erscheinung vermuten. Hier liegt
der Mangel nicht im Reizentzug, sondern in der unzureichenden
Reizaufnahme und -verarbeitung. Förderung der
Körpereigenwahrnehmung im Sinne der Sensorischen
Integrationstherapie Die
Körpereigenwahrnehmung kann u.a. gefördert werden durch ·
isotonische
Muskelkontraktion (Anspannung in der Bewegung). ·
isometrische
Muskelkontraktion (Anspannung in der Ruhe). ·
durch
Selbstberührung und passive Berührung (Erfahrung der
körperlichen Begrenzung). ·
durch
vestibuläre Stimulation (Schaukeln, Trampolinspringen u.a.). ·
durch
„Hinspüren“, Achtsamkeit.
Jing (Essenz), Qi und
Shen (Geist) werden „die drei Schätze“ genannt. Umgekehrt jedoch
können Emotionen das Shen und darüber mittelbar die anderen
Organe, das Jing, Qi und Xue („Blut“) beeinflussen.
Geist und
Psyche: Shen,
Hun, Po, Yi, Zhi Dem Shen
werden in der Literatur unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen. Die
beiden wichtigsten sind: 2. Geist, Wanderseele,
Körperseele, Intellekt und Willenskraft = „der fünffache
Geist“
Die Wanderseele ist mit
dem westlichen, christlichen Verständnis von Seele verwandt. Sie
betritt den Körper kurz nach der Geburt und überlebt diesen.
Die Emotionen und die
Yin-Organe: Mögliche Pathologien Alle negativen Emotionen
beeinträchtigen alle Organsysteme. Jedoch gibt es in den einzelnen
Organen spezifische Resonanzen, die diese empfänglicher für
bestimmte Emotionen machen und mit den Eigenschaften der Organe selbst
zusammenhängen. Z.B. wird die Leber (Wandlungsphase Holz) Zorn und
Wut geschädigt . Die in der Wut enthaltene Energie
(Aggressivität = Fähigkeit, an die Dinge heranzugehen, sie
anzupacken) ist auch für die Tatkraft des Holzes verantwortlich.
Die Genauigkeit des Denkens (Wandlungsphase Erde, Milz) kann zu
Grübelei werden. Die Beeinflussung ist
wechselseitig. Die Organe werden durch Emotionen beeinflusst und
verändern ihrerseits die psychische Befindlichkeit. Der Geist und das Herz
stehen im Zentrum aller Yin-Organe und der mit diesen verbundenen
Emotionen. Alle Emotionen treffen neben den entsprechenden Organen auch
das Herz. „Das Herz allein kann die Wirkungen emotionaler Spannungen
erkennen und fühlen, weil es für Bewusstsein und Wahrnehmung
verantwortlich ist.“[13], d.h., auch
für die Wahrnehmungsorganisation im Sinne der sensorischen
Integration.
Diagnose
und Therapie
mentaler und emotionaler Störungen Die chinesische
Diagnostik und Therapie geht in der Regel nicht von den westlichen
Krankheitsbegriffen aus. Auch gibt es keine psychiatrische Diagnostik
und Therapie im engeren Sinne. Da die chinesische Medizin Körper,
Geist- und Seele als Einheit sieht, erfolgt die Diagnose wie bei
anderen Erkrankungen anhand ihrer Wirkungen auf Qi, Blut und Yin. In
der Therapie kommen Akupunktur- und Kräuterbehandlung
gleichermaßen zum Einsatz[15]. Literatur
zum Thema einer gezielten therapeutischen Anwendung von Qigong konnte
nicht nachgewiesen werden.
Qi,
Blut,Yin:
Stagnation, Stase, Hitze, Schleim Psychischer Stress
führt zu Qi-Mangel oder rebellierendem Qi (das
Qi tut nicht, was es soll; es steigt zum Beispiel auf, wo es absteigen
sollte.). Zorn, vor allem, wenn er unterdrückt ist bedingt eine
Qi-Stagnation in der Leber. Gravierender sind die
Auswirkungen auf das Blut, da dieses die materielle Grundlage für
Geist und Psyche bildet. Blut ist Yin und
beherbergt die Psyche (Yang).
In der folgenden Tabelle[16] sind die
Beeinträchtigungen der vitalen Substanzen systematisiert. Es gibt
eine unmittelbare Wirkung und weitere Wirkungen, die sich aus der
unmittelbaren Wirkung ergeben.
Westliche
Krankheitsbegriffe und chinesische Entsprechungen Westliche psychiatrische
Krankheitsbegriffe können beispielsweise folgende Entsprechungen
in der chinesischen Medizin haben.
Chinesische
Krankheitsbegriffe und Therapieansätze Psychische Störungen
in der Terminologie der chinesischen Medizin
haben immer Wirkungen auf Qi, Blut, und Yin und können durch
Störungen dieser "Substanzen" verursacht sein. Aus
Phänomenologie und Pathologie ergeben sich entsprechende
Therapie-Richtlinien
Die Praxis
Zu meiner Gruppe
gehörten drei Frauen und zwei Männer mit folgenden
Krankheitsbildern: ·
paranoid-halluzinatorische
Schizophrenie ·
schizo-affektive
Psychose (Schizophrenie mit manisch-depressiven Anteilen) ·
Borderline-Störung
mit Medikamentenabhängigkeit und Selbstverletzungs-Tendenzen
Alle lebten in einem
sozialtherapeutischen Wohnprojekt für chronisch psychisch
Erkrankte, waren trotz antipsychotischer und antidepressiver Medikation
häufig durch Antriebsschwäche und depressive Phasen
beeinträchtigt und z. T. florierend psychotisch.
Ich leitete diese Gruppe
über 11 Monate von Ende 2002 bis zum Herbst 2003 im Rahmen meiner
Berufstätigkeit als Ergotherapeut. Die Gruppe fand einmal in der
Woche 30-40 Minuten statt, während einer Phase von ca. 3 Monaten
auch an vier weiteren Wochentagen jeweils morgens eine Viertelstunde. <>Meine Arbeit mit den
Teilnehmern endete mit der Beendigung meiner dortigen Anstellung.>
<><>> Die Kontinuität der
Teilnahme wurde maßgeblich vom Betreuungsteam der Wohngruppen
gewährleistet. Diese Art der gestützten Motivation ermöglichte
positive Entwicklungen. Viele psychisch
gestörte Menschen haben ein gestörtes Verhältnis zu
ihrem Körper. Sie vernachlässigen seine Pflege, blenden sein
Vorhandensein aus, leiden unter Schmerzen, meiden oder fürchten
Bewegung. Ziel meiner Arbeit mit
psychisch gestörten Menschen ist, den Körper als zentrale
Realität des Lebens und Körperpflege als Selbstpflege
(wieder) bewußt zu machen.
Diese
orientiert sich gleichermaßen an den Kriterien der Sensorischen
Integrationstherapie wie der traditionell chinesischen Denkweise. Da sich die
TeilnehmerInnen überwiegend in einem schlechten muskulären
und konditionellen Zustand befanden, nahmen aktivierende, tonisierende
Übungen einen großen Anteil der Übungspraxis ein.
Jedoch sollte immer unterhalb der Belastungsgrenze gearbeitet werden. Jing und Qi sind die
Basis für Shen. Deshalb wirken alle Übungen, die das Jing und
Qi nähren, auch positiv auf das Shen. Eine zentrale Rolle nehmen
Übungen ein, die das untere und mittlere Dantian nähren und
verbinden, ein Gegengewicht zur oberen Fülle setzen und das „Feuer
unter das Wasser bringen“. Verwurzelungsübungen
(Zhan Zuang, Stehen wie ein Baum, Steigen und sinken) erhöhen die
Standfestigkeit und stärken das Nieren-Qi. Selbstmassage ist vor
allem bei dissoziativem Körpererleben (der Körper wird im
Erleben abgespalten, als nicht zur eigenen Person gehörig erlebt)
hilfreich. Es ist für manche Menschen nicht
selbstverständlich, sich des eigenen Körpers durch
Selbstberührung zu vergewissern. Ein 34-jähriger
Teilnehmer, der trotz neuroleptischer Behandlung weiterhin an
akustischen, möglicherweise auch visuellen Halluzinationen leidet,
darüber hinaus fürchtet, bei Anstrengung einen Herzinfarkt zu
erleiden, wurde beim Üben zunehmend unruhig. Dazu befragt, sagte
er, er spüre seine Füße nicht. Eine Knet- und
Klopfmassage der Füße half ihm, die Übung
konzentrierter fortzusetzen. Das Singen der Heilenden
Laute oder spontan improvisiertes Singen unterstützt über die
Vibration in den jeweiligen Resonanzzentren das Körpererleben. Die
heilenden Lauten im Zusammenhang der 5-Elemente-Übung oder im
Liegen mit Auflegen der Hände auf die jeweiligen Organe, bei
gleichzeitiger Visualisierung des Organs und Würdigung der von ihm
geleisteten Arbeiten. Darüber hinaus fördern die heilenden
Laute die emotionale Ausdrucksfähigkeit und das Gruppenerleben. Chronisch psychisch
kranke Menschen verbringen z.T. viel Zeit im Bett, wo sie sich in eine
körperliche Erschlaffung ergeben. Deshalb wurde eine Entspannung
(Lockerung von Muskulatur und Gelenken) vorzugsweise über
Anspannung im Sinne der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobsen
angestrebt. Hierbei erfährt der/die Übende über die
Muskelanspannung eine klare Rückmeldung. Die Aufmerksamkeit wird
auf die jeweilige Körperregion gerichtet und Entspannung als Eutonie
im Sinne eines entspannt-gespannten Bereitschaftszustandes erreicht. Der Antriebslosigkeit
lässt sich mit dynamischen (Aufwärm-)Übungen
(Hüpfen, Schütteln, Schwingen) begegnen. Auch isometrische, anstrengende
Übungen sind hilfreich (breiter, tiefer Stand, langsame Bewegungen
mit maximaler Körperspannung). Qigong kann auch helfen,
die eigenen Grenzen für sich selbst und andere deutlicher zu
machen. Gerade bei schizophrenen und Angsterkrankungen werden die
Grenzen zwischen Person und Umgebung häufig diffus erlebt, was
paranoides Erleben zur Folge haben kann: Der/die Betroffene glaubt,
andere könnten ihre Gedanken lesen oder hören, fühlt
sich durch Straßengeräusche bedroht, durch andere Menschen
verfolgt usw.. Manche von ihnen spüren nicht, wenn andere Menschen
ihnen zu nahe kommen und sie dadurch energetisch negativ beeinflussen.
Da soziale Beziehungen immer räumliche Beziehungen sind,
können sie im Raum bewusst erfahrbar gemacht werden. Hier wurde das
Qigong-Übungsprogramm ergänzt durch Distanzübungen: Eine
Person nähert sich einer anderen. Letztere gibt ein Stop-Zeichen,
wenn sie das Gefühl hat, ihre persönliche Grenze sei
erreicht. Anfangs kam das Stop-Zeichen meist erst dann, wenn die Grenze
bereits überschritten und ein Unwohlsein eingetreten war. Mit
zunehmender Sensibilisierung wurde der Grenzraum erweitert. Die durch das Qigong
erhöhte Sensibilität kann das Erleben auch negativ
beeinflussen. Ein Teilnehmer, der seine
Begegnungen mit anderen Menschen häufig paranoid verarbeitete,
klagte darüber, dass er durch die Übungen so sehr
geöffnet werde, dass er sich gegen die Umgebung (99
MitbewohnerInnen mit z.T. schwersten Symptomatiken, incl.
Spätdyskinesien[19] ) nicht mehr
ausreichend abgrenzen könne. Er fühle sich dadurch sehr
beeinträchtigt. Leider war er nicht dazu zu bewegen, einen
weiteren Versuch mit veränderten Übungsabläufen (z.B.
eine Betonung des Wie Qi in eher der Kampfkunst zuzurechnenden
Übungen) zu wagen. Möglicherweise wurde hier der
Übungsabschluß (das Sammeln des Qi im unteren Dantian, der
Übergang aus der Übezeit in den Alltag) nicht ausreichend
angeleitet. Schließlich einigten wir uns darauf, gemeinsam eine
Karate-Kata zu erarbeiten. In diesem Sinne sind auch
kampfkunstnahe Qigong-Übungen, die das Wei-Qi (Abwehr-Qi)
nähren, sinnvoll, dies vor allem für Menschen, die wenig
Kontakt zu ihrer Aggressivität haben und sich gegen andere nicht
ausreichend abgrenzen können. Übungen, die verstärkt mit Vorstellungen arbeiten (Sitzmeditation, Stilles Qigong), kommen gar nicht oder nur sehr vorsichtig (nach gründlicher Vorbereitung durch bewegte und isometrische Übungen) zum Einsatz, um der Tendenz zum „Abdriften“ keinen Raum zu geben. Von Qigong-Übenden berichtete visuelle Sensationen (Sehen des „Qi-Mantels“ oder der „Aura“), die für eine starke Sensibilisierung sprechen, werden allzu leicht psychotisch verarbeitet. Da das lange Stehen den
TeilnehmerInnen sehr schwer fiel, wurden zunehmend Geh-Übungen und
Übungen im Liegen in das Programm aufgenommen. Sehr wichtig war, die
TeilnehmerInnen immer wieder zu Rückmeldungen über die
Wirkungen des Übens aufzufordern und diese als bedeutsamen Aspekt
des Lernprozesses darzustellen, da sie z.T. dazu neigten, unangenehme
Empfindungen, Gefühle und Gedanken als persönliches Versagen
zu sehen. Auffallend
eingeschränkt war das Bewegungsgedächtnis. Auch einfache
Sequenzen mußten immer wieder demonstriert werden.
Rückmeldungen der
TeilnehmerInnen ·
Häufig
wurden die Übungen, vor Allem das Stehen, als zu anstrengend
erlebt. Dagegen waren Übungen im Gehen oder Liegen z.T. sehr
beliebt, so dass sie schließlich den größten Anteil
einnahmen. ·
Es
wurde mehrfach berichtet, dass die der Übungszeit
anschließende Nachmittagszeit in erheblich größerer
Ruhe verbracht werden konnte. ·
Ein
(täglich halluzinierender) Teilnehmer berichtete: „Meine Emotionen
sind jetzt in die Beine gerutscht.“ Derselbe nannte die Qigong-Wirkung
„wunderbar“. ·
Eine
Teilnehmerin konnte gelegentlich auf eine zusätzliche Medikation
(sog. „Bedarfsmedikation“ zur Abmilderung von Krisenspitzen) verzichten. ·
Eine
zwanghafte Patientin, die immer darauf fixiert war, Alles „richtig“ zu
machen, antwortete mir einmal, als ich einen Bewegungsablauf
korrigierte: „Es ist mir egal.“ Vielleicht wurde auch diese
authentische Aussage, die mich spontan sehr erfreute, erst durch die in
der Übung gewonnene Standfestigkeit möglich.
Resümée: Wie am Beispiel der
Sensorischen Integrationstherapie deutlich wird, lassen sich westliche
und asiatische Denk- und Handlungsansätze sinnvoll verbinden. Qigong bietet sich vor
allem auch deshalb an, weil es nicht nur der körperliche
Ertüchtigung und Beweglichkeit dient, sondern über die
geistigen Inhalte einen Zugang für "Sportmuffel" und Kopfmenschen,
von denen es im psychiatrischen Feld viele gibt, bietet. Weltabgewandte
Spiritualität, vielfach der Einstiegspunkt für psychiatrische
"Karrieren", vermag hier eine physische Basis zu erhalten. ·
"Es
ist die Angelegenheit der ganzen Gesellschaft...", in Materialien-Heft
Nr. 5, (Hrsg) Informationsstelle Kurdistan e.V., Berlin 2000. zitiert
nach http://www.mozaik-bonn.de/dergi7.html ·
(http://paedpsych.jku.at:4711/LEHRPROGRAMME/PSYCHGRUNDLAGEN/Contents/Descript/sensdepr.htm) ·
Guorui,
Jiao: Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong. Uelzen. 2. Aufl. 1991 ·
Guorui,
Jiao: Qigong Yangsheng. Uelzen, 2. Auflage 1989. S. 60 ·
Hesse,
Wolfgang/ Königer, Gabriele: Erfahrungen mit Angeboten zur
sensorischen Integration in der Behandlung akut schizophrener
Patienten. In Ergotherapie & Rehabilitation. Heft 1. Januar 1998.
S.5 ff. ·
Maciocia,
Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997 ·
Novotny
, U. e.a.: Risiken und Komplikationen bei Tai Chi und Qi Gong. zitiert
nach http://www2.lifeline.de/yavivo/Verfahren/Naturheilverfahren/QiGong_TaiChi/30Risiken.html. 2001 ·
Focks,
Claudia / Hillenbrand, Norman (Hrsg.):Leitfaden Traditionelle
Chinesische Medizin. München. 1997 [1] Guorui, Jiao: Die 15
Ausdrucksformen des Taiji-Qigong. Uelzen. 2. Aufl. 1991 [2] Guorui, Jiao: Qigong
Yangsheng. Uelzen, 2. Auflage 1989. S. 60 [3] Novotny , U. e.a.:
Risiken und Komplikationen bei Tai Chi und Qi Gong. zitiert nach http://www2.lifeline.de/yavivo/Verfahren/Naturheilverfahren/QiGong_TaiChi/30Risiken.html.
2001
Die Frage ist, was hier
mit Psychosen gemeint ist. Nicht jede Halluzination oder
ungewöhnliche visuelle Sensation (von Qigong-Übenden werden
Sehen der Aura oder des Qi-Mantels berichtet) ist Ausdruck einer
Psychose. [4] Vulnerabilität ist
die konstitionelle Prädisposition eines Menschen, auf
psych-osoziale Stressmomente mit einer schizophrenen Erkrankung zu
reagieren. Das Vulnerabilitätsmodell ist Ausdruck einer
veränderten Sichtweise der schizophrenen Psychose, die die
Krankheitsgenese nicht nur genetisch, sondern auch psychodynamisch und
psycho-sozial sieht, wodurch psychotherapeutische Verfahren und
Gestaltung der Lebensumwelt ein zunehmend wichtiger Teil des Umgangs
mit der Krankheit wurden und evtl. Rezidiven – Rückfälle in
akut-psychotische Zustände – vorbeugen konnten. [5] Hesse, Wolfgang/
Königer, Gabriele: Erfahrungen mit Angeboten zur sensorischen
Integration in der Behandlung akut schizophrener Patienten. In
Ergotherapie & Rehabilitation. Heft 1. Januar 1998. S.5 ff. [6] Zoenästhesien sind
keine Körperhalluzinationen, sondern „Als-Ob“-Erlebnisse, die
quälend sein können. Beispiele: „Als ob eine
Ameisenstraße durch den Körper führt“, „Als ob
Nägel durch die Haut getrieben würden.“ Der Unterschied zur
Halluzination ist, dass die Zoenästhesie vom Betroffenen in ihrer
Unwirklichkeit realisiert wird. [7] „Beispiel: Eine
Versuchsperson wird in einem ruhigen, dunklen Raum auf eine Liege
gelegt und festgebunden, so daß sie sich nicht mehr bewegen kann.
Als Folge dieses Zustands steigt bei der Person das Verlangen nach
Sinnesreizen und Körperbewegung. Je länger dieser Zustand der
Deprivation andauert, desto mehr lassen sich bei dem Betroffenen
Störungen des normalen Denkablaufs, Konzentrationsschwäche,
depressive Verstimmungen und in einzelnen Fällen auch
Halluzinationen beobachten.“ (http://paedpsych.jku.at:4711/LEHRPROGRAMME/PSYCHGRUNDLAGEN/Contents/Descript/sensdepr.htm)
[8] Die Isolation, die von
den Wissenschaftlern "sensorische Deprivation" genannt wurde,
erklärt der Facharzt für Psychiatrie Sjen Teuns in seinem
Buch "Isolation/ Sensorische Deprivation: die programmierte Folter"
folgendermaßen: Sensorische Deprivation ist die "Isolation von
der Umwelt durch Aushungerung der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks-
und Tast- Organe. (...) Durch Aushungern im herkömmlichen Sinne
kann man ebenso wie durch Erschießen oder Vergasen sowohl
menschliches als auch tierisches Leben vernichten. Sensorische
Deprivation hingegen ist eine speziell auf den menschlichen Organismus
zugeschnittene Methode der Zerstörung von Lebenssubstanz. (...)
Über Monate und Jahre angewendet, ist sie der sprichwörtlich
'perfekte Mord' für den keiner - oder alle, außer den
Opfern- verantwortlich ist".
zitiert nach: "Es ist die
Angelegenheit der ganzen Gesellschaft...", in Materialien-Heft Nr. 5,
(Hrsg) Informationsstelle Kurdistan e.V., Berlin 2000. zitiert nach http://www.mozaik-bonn.de/dergi7.html
[9] Der Begriff Intake (=“Hineinnahme“) beinhaltet, dass Wahrnehmung kein passiver Prozess ist, bei dem etwas in das Individuum eingegeben (Input wie bei einem Computer), sondern ein in der Verarbeitung und Beantwortung aktiver und selektiver Vorgang. Diese Tatsache ist die Begründung Reizüberflutung in Folge mangelnder Reizhemmung und –selektion, für Verkennungen und andere Wahrnehmungsschierigkeiten. [10] Das Vestibulum, bestehend
Sacculus, Utriculus und Bogengängen, befindet sich im Innenohr. [11] Modulation ist die
Verstärkung (z.B. „Hinhören“) bzw. Hemmung („Ausblenden“) von
Reizen. Taktile Defensivität ist ein protopathisches
(entwicklungsgeschichtlich altes) Reaktionsmuster, das auf
Berührung mit Flucht oder Angriff reagiert. Dieses Muster muss
gehemmt werden, damit wir Berührung auch epikritisch
(unterscheidend, „ertastend“) interpretieren können. [12] Maciocia, Giovanni: Die
Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S.188 [13] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 201 [14] Die Beeinflussung zwischen Organen und Emotionen ist jeweils wechselseitig zu verstehen. [15] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 212 ff. [16] Maciocia, Giovanni: Die Praxis der chinesischen Medizin. Kötzting. 1997. S. 216 [17] "Schleim" ist keine Substanz. Er "verstopft den Geist und die Herzöffnungen und behindert das Denken. [18] Schleim-Feuer bewirkt neben den Eigenschaften des Schleims noch unnatürliche Euphorie und manisches Verhalten. Dies kann bis zu einer manisch-depressiven Erkrankung führen. [19] Durch Neuroleptica (anti-psychotische Medikamente) verursachte irreversible Bewegungsstereotypien |